Tuesday, November 04, 2008

Rechtfertigt ein Embryo im Reagenzglas den Mutterschutz?

 

Der OGH hatte zu beurteilen, ab wann eine Schwangerschaft bei extrakorporaler Befruchtung eintritt.

Nach dem österreichischen Mutterschutzgesetz können Arbeitnehmerinnen während der Schwangerschaft nicht rechtswirksam gekündigt werden. Voraussetzung für die Geltung dieser Norm ist das Vorliegen einer Schwangerschaft im Zeitpunkt der Kündigung. Bei einer natürlichen Befruchtung ist der Zeitpunkt des Schwangerschaftseintritts medizinisch weitgehend geklärt. Wie verhält es sich aber bei Vornahme einer In-vitro-Fertilisation (IVF), also einer künstlichen Befruchtung außerhalb des weiblichen Körpers?

Im zu entscheidenden Fall wurde eine Frau gekündigt, die ohne Wissen des Arbeitgebers eine künstliche Befruchtung anstrebte. Zum Zeitpunkt der Kündigung waren Ei- und Samenzellen bereits verschmolzen, daher existierten bereits Embryonen im Reagenzglas. Die Einpflanzung in die Gebärmutter erfolgte zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich ein paar Tage nach dem Ausspruch der Kündigung durch den Arbeitgeber.

Das Erstgericht gestand der Dienstnehmerin den besonderen Kündigungsschutz zu. Als Argument führte es die Rechtsprechung des OGH an, nach der eine Schwangerschaft im Normalfall ab der Befruchtung der Eizelle bejaht wird.

Das Höchstgericht kam im vorliegenden Fall allerdings zu dem Entschluss, dass eine Schwangerschaft losgelöst vom weiblichen Körper denkunmöglich sei. Auch die Möglichkeit befruchtete Eizellen nach dem Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) bis zu zehn Jahren aufzubewahren spricht nach Ansicht des OGH erst für den Schwangerschaftseintritt ab dem Einsetzen der befruchteten Eizelle. Bei IVF könnte die Frau nämlich im Gegensatz zur natürlichen Befruchtung den Schwangerschaftsbeginn willkürlich bestimmen.

Um diese Rechtsfrage auch im Sinne der europäischen Mutterschutzrichtlinie (RL 92/85/EWG) zu beantworten, wandte sich der OGH im Zuge einer Vorabentscheidungsfrage an den EuGH. Der Europäische Gerichtshof verneinte das Vorliegen einer Schwangerschaft, räumte aber Bedenken aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes ein. Eine Kündigung, die wegen einer IVF- Behandlung ausgesprochen wird, sei demnach rechtswidrig. Da die Betroffene aber keinen Diskriminierungstatbestand geltend gemacht hatte, war dieses Argument im konkreten Fall gegenstandslos.